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Prof. Dr. Günter Dlugos

27.05.2019

Dlugos quer

Dlugos quer

Herr Prof. Dr. Günter Dlugos ist am 12. Mai 2019 im Alter von 98 Jahren verstorben. Er hatte an der Freien Universität Berlin von 1970 bis 1989 den Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre unter besonderer Berücksichtigung der Unternehmungspolitik inne.

Nachruf von Prof. Dr. Gesine Schwan

Günter Dlugos, dem wir heute das letzte Geleit geben, war ein kluger, engagiert und differenziert fragender Wissenschaftler, und er war vor allem ein wunderbarer, warmherziger und integrer Mensch. Warmherzigkeit geht mit Wissenschaftlichkeit nicht immer zusammen, um es vorsichtig zu sagen. Im Gegenteil: Wissenschaftliche Analyse scheint kühle Distanz, die Abstraktion von Gefühl und Leidenschaft zu verlangen, und wenn Leidenschaft, dann wie bei Max Weber, für die wissenschaftliche „Sache“, nicht für Menschen. So jedenfalls denken viele innerhalb und außerhalb der Wissenschaft. Günter Dlugos dachte nicht so, weil er mit seiner Wissenschaft nicht nur für eine effiziente Wirtschaft sorgen wollte, sondern auch für eine, die den Menschen bekommt. Das ist auch heute leider nicht gerade Mainstream, und dabei so notwendig.

Sein Motiv der warmherzigen Mitmenschlichkeit hat ihm geholfen, überaus fruchtbare Forschungsfragen an die Betriebswirtschaft zu stellen, für die er an der Freien Universität Berlin als sog. ordentlicher Professor von 1970 bis 1989 geforscht und gelehrt hat. Natürlich ging es ihm darum, so genau wie möglich zu bestimmen, wie man durch gute Organisation und Management von Unternehmen zu vorzüglichen ökonomischen Ergebnissen kommen könnte. Aber anders als so manche Spezialisten dachte er nicht borniert, sondern in größeren Zusammenhängen. Vor allem fragte er danach, wie sich Wirtschaft in den allgemeineren Wertehorizont von Gesellschaft und Politik einordnet. „The Relationship Between Changing Value Systems, Conflicts and Conflict-Handling in the Enterprise Sector”, war solch ein typischer Titel für seinen Ansatz. Wie passt die Willensbildung in einem Unternehmen zum politischen, vor allem zum normativen gesellschaftlichen Umfeld? Verträgt sich eine autoritärhierarchische Organisation mit einer Demokratie, die doch für Freiheit und Würde jedes Menschen steht? Wie geht man mit internen Konflikten um? Soll, ja kann man sie überhaupt ohne Gefahr für das Unternehmen unterdrücken? Soll man sie zur Sprache bringen? Kann man sie produktiv lösen und damit sogar das wirtschaftliche Ergebnis verbessern?

Günter Dlugos war immer, bis in seine letzten Tage hinein sehr daran gelegen, unseren demokratischen und unseren christlichen Werten besser zur Geltung zu verhelfen. In den siebziger Jahren leiteten wir zusammen ein Seminar zu diesem Thema. Er verstand seine Betriebswirtschaft politikwissenschaftlich und lud mich deshalb ein, zusammen mit seinen Studentinnen und Studenten über politische Ordnungsmodelle zu diskutieren. „Von der Betriebswirtschaftspolitik zur betriebswirtschaftlich-politologischen Unternehmungspolitik“ lautet der Titel eines darauf bezogenen Aufsatzes.

Noch im Spätsommer vergangenen Jahres, als wir zusammen in seinem wunderschönen Garten in der Schopenhauerstraße saßen, kreisten seine Gedanken unaufhörlich um die Frage, wie man der jüngeren Generation die Werte des sozialen Zusammenhalts, der Rücksichtnahme, der Gerechtigkeit nahebringen könne. Und auch Anfang der achtziger Jahre, als Ingrid und Günter Dlugos bei meinem Mann Alexander Schwan und mir in Washington zu Gast waren, haben wir zusammen mit seinem damaligen Assistenten Wolfgang Dorow darüber einen intensiven Austausch gehabt. „Exit, Voice and Loyalty“ von Albert O. Hirschman stand damals wissenschaftlich hoch im Kurs. Günter Dlugos, ein Mann der stillen, zurückhaltenden Reaktionen, weitab von jeglichem autoritären Gestus hat immer großen Wert daraufgelegt, Konflikte im Unternehmen zur Sprache zu bringen. Albert Hirschman analysierte die zwei Möglichkeiten, in Organisationen auf Dissens und Konflikte zu reagieren: Entweder man verlässt die Organisation: Exit – oder man bestimmt sie mit: Voice. Beides hat einen erheblichen Einfluss auf die Loyalität von Menschen für ihre Organisation, mitbestimmen schafft Loyalität, bietet Chancen für eine friedliche produktive Lösung. Günter Dlugos war ein  überaus friedfertiger Mensch. Auch die Genauigkeit seines Denkens und seiner Sprache dienten dem Frieden, im  persönlichen wie im wissenschaftlich öffentlichen und im wirtschaftlichen Bereich: damit wird man nämlich anderen gerecht, die sich dadurch anerkannt fühlen. Das stärkt den Frieden.

Das Bild, wie er im vergangenen Spätsommer im Rollstuhl am offenen Grab seiner geliebten Ingrid saß, in sich versunken in unsäglicher Trauer, werde ich nicht vergessen. Beide, Günter und Ingrid Dlugos strahlten so viel Gastfreundschaft, Zuwendung, Offenheit und Lebensfreude aus. Sie hatten ein erfülltes Leben, mit vielen Kunsterfahrungen, mit ihren beiden Töchtern, die sich liebevoll um sie gekümmert haben, wie dies die Eltern vorher mit ihnen getan hatten. Die Erinnerung an das in Liebe verbundene Paar wird uns weiter begleiten, ermutigen und bereichern.

Gesine Schwan, 26. Mai 2019